Der „Dia de los Indianos“ in Santa Cruz de La Palma -
Wer es selbst sehen und spüren will, der muss heute die weisse Puderschlacht in der Hauptstadt von La Palma erleben.
„Eine fast undurchdringliche Nebelwand aus Staub und feinen Partikeln schwirrt vor meinen Augen. Die Luft ist erfüllt von weißem Pulverdampf der mit den Augen kaum zu durchdringen ist. Es erscheint als würde über mir gerade ein Sack Mehl ausgeschüttet, das fein zerstäubt langsam herab rieselt und mit jedem Windhauch auch die Richtung ändert.
Wie im Windspiel steigen und fallen die staubkleinen Teilchen tänzelnd zu Boden. Die Sonnenstrahlen durchdringen teilweise den nicht nachlassenden Strom und zaubern unwirklich erscheinende Lichtspiele. Fast wie eine mit Schnee bedeckte Landschaft öffnet sich jetzt meine nähere Umgebung … und der Fallout nimmt kein Ende.
Nicht nur ein Sack Mehl – sondern viele, vielleicht mehrere Tonnen, müssen es sein. Der ganze Platz und soweit mein Auge reicht und auch die benachbarten Straßen liegen unter einer weißen Pulverschicht. Auch die Hausfassaden und Fensterscheiben sind bis zum ersten Stock weiss.
Die weisse Puderschlacht hüllt alles Leben ein
Es ist kein Mehl – sondern Polvo wie es hier heißt. Talkum oder Kinderpuder das normal die Popos von Babys trocken und wund frei hält. Selbst die 15 Meter hohen Palmen sind mit einer feinen Schicht Staub bedeckt. Ein unwirkliches Szenario, das diesen doch sonst so vertrauten Platz in ein gespenstisch oder besser märchenhaftes Bild verwandelt.
Auf dem Platz ausgelassene und tänzelnde Menschen. Tausende Menschen könnten es sein und alle in Weiss gekleidet. Die Herren mit einem weissen Flanellanzug und auf dem Kopf ein Sombrero (Strohhut). Aus der Brusttasche der Jacke quellen die Dollarnoten hervor und zwischen den Lippen ein dicker Puro (Zigarre). Die Damen in ähnlicher Aufmachung mit einem langen weissen Kleid, Strohhut und im Gefolge junge Frauen, die wie Hausangestellte aussehen.
Schwarz geschminkte Kindermädchen und die Küchenmamsell in kariert schwarz/rotem Kleid. Als wohlhabende Emigrantenfamilie (Indianos) kehrt man aus Kuba in seine alte Heimat zurück. Viele Jahre – oft Jahrzehnte – hat man es in der Karibik als Auswanderer zu etwas gebracht.
Als reicher und angesehener Re-Emigrant ist man nun wer – und das wird gezeigt. Jetzt ist man gerade mit dem Schiff aus Kuba in den Hafen zurück gekommen und zieht mit Pomp, Musik und viel Polvo wieder in die alte Hauptstadt ein. Viele mit einem großen Koffer in der Hand. Aus den Rändern der Gepäckstücke blitzen auch Dollarscheine hervor. Es gibt nichts zu verbergen und damit wird geprotzt. Dazwischen kleine Musikgruppen mit Gitarre, Guarachas und Guajiras. Typisch kubanische Musikinstrumente, die meist selbst gebaut wurden.
Cuba, Puros, Rum und Salsa
Lateinamerikanische Klänge die zu Herzen gehen. Auch wenn nur Fetzen von Son, Salsa, Cha-Cha-Cha oder Rumba in dem tosenden Meer bis an die Ohren dringen, werde ich mitgerissen. Unwillkürlich schwingt der Körper mit. Die Muskeln oszillieren im Rhythmus des Klangkörpers und setzen optisch in gleichmäßiger Bewegung den Takt um.
Die ganze Menschenmasse wippt und überträgt wie eine Erdbebenwelle kreisförmig den Rhythmus weiter. Alles ist im Stand in Bewegung, da ein wirkliches Weiterkommen bei dieser Menge von Indianos nicht möglich ist …und jeder ist Teil dieser Inszenierung.
Eine riesige Party – auch wenn der Vergleich hinkt – spielt sich vor meinen Augen ab. Polvoschwaden, Musik und tanzende und mitgrölende Menschen. Wie Kinder die sich ausgelassen am Strand mit Sand bewerfen und im Trubel und Rausch die Umwelt vergessen, läuft hier im großen Stil die weisse Puderschlacht. Losgelöst von all den normalen täglichen Sorgen steigern sich Jung und Alt in eine wahre Ekstase. Ein Begeisterungstaumel wie ich ihn sonst noch nie erlebt habe.
Die Euphorie scheint keine Grenzen zu kennen und der Alkohol fließt in Strömen. Es ist der hier typische Rum der aus mitgeführten Bechern getrunken wird.
Kein leichtes Unterfangen im Pulversturm einen Schluck aus dem offenen Becher ohne Polvo zu erhaschen. Es scheint aber keine große Rolle zu spielen, ob nun Polvo in kleineren oder größeren Mengen auch im Magen landet.
Der flüssige Nachschub wird aus den mitgeführten Koffern und Rucksäcken geholt und runden-weise an die umstehenden Indianos verteilt. Rum und andere berauschende Getränke hat heute jeder dabei. Verdursten muss niemand und die Fiesta hat ja gerade erst begonnen.
Die ganze Nacht bis zum Morgengrauen wird die weisse Puderschlacht so weiter gehen. Nasen und die Ohren sind bereits verstopft und die echte Gesichtsfarbe ist unter der Polvoschicht nicht mehr zu erkennen. Alle sind heute gleich – WEISS.“
- kleiner Auszug aus meinem Buch “ Emigrant im eigenen Land“ ISBN: 978−3−839−15289−8
Hola La Palma,
das karnevalistische Erdbeben hat schon gestern La Palma erzittern lassen. Toll, diese Energie!
Liebe Grüße an Manfred von
Tamina
Hallo Tamina,
bei uns ist immer etwas am „Beben“. Vielleicht mal wieder ein Anlass für eine nette Reportage.
Liebe Grüße vom heutigen Havanna nach Freiburg
Manfred