Doch keine komplette Stromversorgung mit Regenerativer Energie möglich?
Seit Juni 2014 läuft das neuartige Hydro-Wind Projekt auf El Hierro. 100% Strom aus Regenerativen Energiequellen war das ehrgeizige Ziel. Die 7000 Bewohner von El Hierro sollen nur mit aus Wind und Wasserkraft erzeugter Elektrizität versorgt werden.
20.000 Tonnen eingesparte Kohlendioxid Abgase pro Jahr und die erste „Grüne Insel“ der Erde ohne Einsatz fossiler Brennstoffe. Das alte Schwerölkraftwerk Llanos Blancos am Hafen von Puerto de La Estaca sollte nur noch für den Notfall in Reserve gehalten werden.
Jetzt 19 Monate später präsentiert die Betreibergesellschaft Gorona del Viento El Hierro erstmals ernüchternde Zahlen:
„Im Jahre 2015 wurde der Wunschtraum 100% Strom aus Erneuerbarer Energie zu beziehen am 9. August für etwas mehr als 2 Stunden erreicht. In der ersten Jahreshälfte konnten die sauberen Energiequellen zu 30% genutzt werden. In den Monaten Juli und August lagen die Mittelwerten zwischen 49 und 55%. Die fehlende Energie musste das alte Schwerölkraftwerk beisteuern das man eigentlich stilllegen wollte“
- so die Zahlen des Betreibers. Nachzulesen auf der span. Gorona-Seite.
Nicht allzu toll für das erste Jahr nach dem 6‑monatigen Probebetrieb im Jahre 2014. Hier vom „Übertreffen der kühnsten Erwartungen“ so Gorona – zu sprechen, ist maßlose Übertreibung und Beschönigung der tatsächlichen Fakten. 80% im Jahres-Durchschnitt hätte der Betrachter schon erwartet.
Leider wird sich die Vision von der saubersten Insel der Welt nun doch nicht erfüllen lassen und eine Vision bleiben. Vielleicht waren es doch zu viele Vorschuss-Lorbeeren.
Fast 85 Millionen Euro, mehr als die Hälfte Fördermittel (Subventionen), hatte der Bau der Anlage verschlungen. Es sollte erstmals der Beweis erbracht werden, dass die Kombination Wind- und Wasserkraft eine Insel wie El Hierro komplett mit Strom versorgen kann.
Schade für El Hierro – ich hätte unserer kleinen Nachbarinsel sehr gerne diesen Erfolg gegönnt.
Doch Theorie und Praxis scheinen zwei verschieden Stiefel zu sein. An dem Gorona Projekt waren Firmen und Fachleute aus vielen Ländern beteiligt. Auch Deutsche, Schweizer, Italienische und Französische Firmen lieferten Komponenten für diesen Prototyp.
Die Fachkompetenz war also nicht allein auf spanische Ingenieurskunst beschränkt. Das Pumpspeicherkraftwerk bringt aus dem 150.000 Kubikmeter Wasser fassenden Speicherbecken bei 650 Meter Höhenunterschied nur etwa 1,9 MWh (Anmerkung: könnte auch etwas höher liegen) Speicherkapazität. Viel zu wenig um die ganze vorhandene Windenergie sinnvoll zu speichern. So verpufft die überschüssige durch die Windgeneratoren erzeugte Kraft und kann nicht gespeichert werden. Das Konzept und die Baufortschritte sind hier Nachzulesen.
Mindestens die 5‑fache Größe (9,5 MWh) wären nötig um die erzeugte und vorhandene Windenergie komplett zu speichern. Andere Berechnungen ergaben sogar das 20-fache Speichervolumen.
Hier taucht allerdings das nächste Problem auf. Wasserbecken von dieser Größe lassen sich auf den durch Erdbeben gefährdeten Kanarischen Westinseln nicht dicht halten. Das beste Beispiel haben wir beim Staubecken Laguna de Barlovento auf La Palma. Mit einer Kapazität von 5,5 Millionen m³ Wasser, war es in dieser Dimension der größte Wasserspeicher, der auf den Kanarischen Inseln je gebaut wurde.
Dammbrüche und Undichtigkeiten führten bereits zu manch gefährlichen Überschwemmungen, so dass er heute nur noch zu maximal 50% befüllt wird. Von den Kosten für die aufwendige Reparaturarbeiten erst gar nicht zu reden.
Die Lösung wären vielleicht mehrere kleinere Speicherbecken, die sich beherrschen lassen. Auf El Hierro ist es auch nicht möglich die überschüssige Windkraft in ein öffentliches Stromnetz einzuspeisen. Die Insel arbeitet autark und hat keine Netzanbindung an die Nachbarinseln.
Bei Stromverbrauchsspitzen arbeitet die Pumpspeicher-Technologie einfach noch zu träge. Kurzfristiger erhöhter Stromverbrauch kann nicht in Minutenschnelle vom gespeichertem Wasser in Strom umgewandelt werden. Im besten Falle ist wahrscheinlich nur eine Nutzung der Regenerativen Energie zu 80% technisch möglich. Auch verträgt das Stromnetz keine ständige Über- oder Unterspannung. Ein Blackout wäre die Folge.
Andere Speicher-Techniken die heute noch nicht zu Verfügung stehen, sind notwendig. Die richtige „Batterie“, der in Sekundenschnelle Energie entzogen werden kann, muss noch erfunden werden.
El Hierro – Was kostet der Regenerative Strom?
Bleiben noch die Kosten. Natürlich möchte die Betreibergesellschaft Gorona glänzen und nur die positiven Aspekte hervor heben.
Bei den Vergleichsberechnungen in Vorher/Nachher ist für 2011 und 2015 auch der gleiche Treibstoffpreis angesetzt. In Wirklichkeit ist aber heute der Ölpreis mehr als 50% günstiger als noch vor 4 Jahren. Um die Amortisierung der Anlage im richtigen Licht darzustellen, sollte dann auch der langjährigen Durchschnitt der Energiekosten als Grundlage heran gezogen werden.
Das macht Gorona jedoch nicht – dies hinterlässt einen faden Beigeschmack und lässt natürlich auch auf andere Rechenkünste der Gesellschaft schließen. An der Glaubwürdigkeit muss die Inselregierung (60% Eigentümer an Gorona) noch arbeiten und nicht mit geschönten Bilanzen die ganze „grüne Energie“ in Verruf bringen.
In Spanien liegt der einheitliche Strompreis derzeit bei rund 24 Cent pro KW/h. Nach Berechnung von Kennern kommt auf El Hierro die Kilowatt/Stunde aber auf horrende 81 Cent pro KW/h. Das scheint auf den ersten Blick jeder Logik von wirtschaftlicher Nutzung von Regenerativer Energie zu widersprechen. Dies ist jetzt eine Momentaufnahme, die sich in den nächsten Jahren durch eine Steigerung der Effizienz positiv noch verändern kann.
El Hierro ist aber trotzdem nicht der Verlierer. In einem mit der Madrider Regierung ausgehandelten Vertrag, übernimmt das spanische Festland das Risiko. Für 8,64 Mio. Kilowattstunden Windenergie wurden bisher 7 Millionen Euro vergütet. Wie lange natürlich Madrid auf Kosten der Steuerzahler dieses Spiel noch mitmacht, ist bei den derzeit unsicheren politischen Macht-Verhältnissen in Madrid, nicht zu sagen.
Was wünscht man El Hierro?
Grundsätzlich ist der Insel und seinem von mir geschätzten Visionär Javier Morales – dem Vater des Projekts – zu gratulieren. El Hierro hat es gewagt, ein neues Projekt über den Planungsansatz bis zur Fertigstellung zu bringen. Keine Selbstverständlichkeit hier auf den Kanaren.
Es war und ist ein Prototyp der Regenerativen Energie und einmalig auf der Erde. Selbst wenn nur 50% des benötigten Strom aus natürlichen umweltfreundlichen Ressourcen erzeugt wird, bedeutet dies ein Erfolg.
Über Jahre habe ich mich mit El Hierro und dem Gorona-Projekt beschäftigt. Entstanden sind zwei Bücher und unzählige Beiträge auf meinem El Hierro-Blog.
Der Gorona-Gesellschaft unter ihrer neuen Präsidentin Belén Allende (zugleich auch die erste Inselpräsidentin der Insel) wünsche ich, bei Veröffentlichungen die Fakten bitte auch so darstellen, wie sie sind.
Zuviel Euphorie und glorreich in den Himmel gehobene Wunschvorstellungen schaden dem Projekt und der Glaubwürdigkeit der ganzen Insel. Jeder wird verstehen, dass eine neue Technologie nicht gleich zu 100% funktioniert – dann ist es halt nur eine zu 50% oder 60% selbstversorgte Insel.
Es ist eine tolle Leistung an der noch gearbeitet werden muss. Viele Länder und auch die Kanarischen Nachbarinseln liebäugeln inzwischen an einer Kopie. Dazu gibt es bereits Machbarkeits-Studien.
El Hierro ist und bleibt der Vorreiter und wird als Pionier-Insel für Regenerative Energie in die Geschichte eingehen … und daran will auch ich nichts ändern.